Im Heidelberger Schloss sitzt am 3. und 4. Mai 1980 Lloyd deMause an einem großen schweren Tisch im Saal der Wochenendtagung. Er ist eingeladen, über die Geschichte der Kindheit und seine psychogenetische Theorie der Geschichte zu berichten. Hier fällt seine berühmt gewordene Formulierung „Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen.“ Literarisch Versierte denken dabei an „Ulysses” von James Joyce: „Die Geschichte ist ein Albtraum, aus dem ich zu erwachen suche“. DeMause erzählt stundenlang, vorrangig zum „neuen“ Thema der Geschichte der Kindheit und ihren historischen Stadien (Modes), von Kindsmord, Aussetzen von Kindern, Ambivalenz, Abnahme von elterlichen Projektionen und vielem mehr. Daneben stellt er die Frage: Was geschieht in Gruppen/Großgruppen, bevor sie „in den Krieg ziehen“?
Zur Veranschaulichung verwendet er unter anderem Karikaturen, und er stellt die (meist achtschrittige) Methode der „Phantasie-Analyse“ vor, „als Instrument, mit dem die unbewussten Inhalte einer Phantasie aufgedeckt werden. Eine Art psychoanalytischer Inhaltsanalyse, mit dem die Produkte der gedruckten Medien, Berichte, Kommentare, Nachrichten durchgemustert werden. Sie liefert eine Sequenz von Worten, für die es eine Hypothese über den zugrunde liegenden Kontext zu formulieren gilt.“ (Bliersbach, in PSYCHOLOGIE HEUTE, Heft 3/1980)
Die Phantasie-Analyse
- Verneinungen eliminieren als mögliche Resultate von Abwehr
- Subjekt-Objekt-Relationen nicht beachten
- Metaphern und Redewendungen kontextunabhängig notieren
- Körpersprachliche Ausdrücke notieren
- Wiederholenden ungewöhnlichen Wortgebrauch notieren
- Symbolische Begriffe festhalten
- Gruppen-Reaktionen protokollieren
- Perioden ohne jede Bildsprache
Englische Grundlage hierfür ist das Heft 7 des Journal of Psychohistory, Summer 1979.
Kommuniziertes „Group-trancethinking“
- Opposites never contradict
- Mistakes proliferate
- 2 plus 2 eqals zero
- Personal embarrassements become substiutes for policy
- Nothing is real, everything is fantasy
- Historical amnesia is a rule
- Goals disappear, action becomes irresistible
- Violence is imperative
In den nächsten Jahren schreibt zum Beispiel Aurel Ende aus Frankfurt mehrere Artikel zur Geschichte der Kindheit in Deutschland und Westeuropa. Sie werden in der New Yorker Zeitschrift HISTORY OF CHILDHOOD QUARTERLY – THE JOURNAL OF PSYCHOHISTORY veröffentlicht, die seit 1973 erscheint. Es ist die Zeit, in der Klaus Theweleits „Männerfantasien“ heftig diskutiert werden. Und: Es ist die Zeit des Wahlkampfes zwischen Helmut Schmidt („Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“) und Franz Josef Strauß („Idi Alpin“).
In der Zeitschrift PSYCHOLOGIE HEUTE (Heft 3/März 1980 „Politische Tiefenpsychologie – Psychohistorie) schreibt Gerhard Bliersbach darüber, welche eher unbewussten Bedürfnisse/Persönlichkeitsanteile die beiden Kandidaten in der Bevölkerung verkörperten und transportierten. Der spätere langjährige Chefredakteur Heiko Ernst sitzt unter den Zuhörern.
In der Ausgabe vom 7. Juli 1977 dieser Zeitschrift, S. 48 bis 55, war unter den Stichworten „ Gequält, misssbraucht, ermordet“ das gerade auf deutsch erschienene: Buch von Lloyd deMause „HÖRT IHR DIE KINDER WEINEN – Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit“ vorgestellt worden.